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Kingston upon Hull

Verantwortlicher Autor: Theo Goumas Kingston upon Hull, 10.07.2022, 11:15 Uhr
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Humber Bridge
Humber Bridge  Bild: Theo Goumas

Kingston upon Hull [ENA] Das Beste an Hull sind die Fähren nach Europa, sagte mir einmal ein Taxifahrer in Edinburgh. Paul Heaton, Sänger der Bands The Housemartins und The Beautiful South, sagte in einem Interview: Das Beste an Hull ist die Umgebung, wo man schön Fahrrad fahren kann.

Was Paul Heaton gesagt hat, habe ich in einem Reiseführer gelesen, als ich vor vielen Jahren zum Studieren dahin wollte und nach Infos suchte. Da es damals die Anfangsphase des Internets war, gab es nicht so viele Seiten wie heute und die Infos waren eher spärlich. Deswegen ging ich in ein Buchgeschäft und schlug sämtliche Reiseführer auf. Nur einer erwähnte Hull oder Kingston upon Hull, wie es offiziell heißt und dort wurde Paul Heaton mit eben diesen Worten zitiert. Später, als ich schon in Hull war und mich längst in die Stadt verliebt hatte, las ich ein Interview in einer Zeitung, in dem jemand sagte, dass Hull am Ende einer Bummelzugstrecke liegt und dass es für dieses Kaff keine Hoffnung gibt. Klingt nicht wirklich berauschend.

The Royal Hotel

Man kann von Hull halten was man will, die meisten sind sich jedoch an einem Punkt einig, die Stadt ist ein architektonisches Juwel. Viele, die schlecht über die Stadt reden, haben Hull nie besucht und wissen nicht einmal wo es liegt. Das ist eine Tatsache, die ich im Laufe der Jahre festgestellt habe. Aber woher kommt der schlechte Ruf? Warum wird so viel Negatives in der Britischen Presse gebracht? Wie kann es sein, dass Hull 2017 City of Culture UK wurde, das Äquivalent zur Europäischen Kulturhauptstadt? Was macht die Stadt und deren Menschen aus und so besonders? Und ist es wirklich ein Kaff ohne Zukunft am Ende einer Bummelzuglinie?

Kingston upon Hull, üblicherweise abgekürzt als Hull, ist eine Hafenstadt und eine Gebietskörperschaft in der Region East Riding of Yorkshire, England. Sie liegt am Fluss Hull an dessen Zusammenfluss mit der Humber-Mündung, 40 km landeinwärts von der Nordsee, 80 km östlich von Leeds, 55 km südöstlich von York und 87 km nordöstlich von Sheffield. Mit etwa 260.000 Einwohnern ist Hull die viertgrößte Stadt in der Region Yorkshire and the Humber. Die Stadt Wyke on Hull wurde Ende des 12. Jahrhunderts von den Mönchen der Abtei von Meaux als Hafen gegründet, von dem aus sie ihre Wolle exportierten.

Hull, das 1299 in Kings-town upon Hull umbenannt wurde, war eine Marktstadt, ein militärischer Versorgungshafen, ein Handelszentrum, ein Fischerei- und Walfangzentrum und eine Industriemetropole. Hull war ein früher Schauplatz der Schlachten in den englischen Bürgerkriegen. William Wilberforce, ein Parlamentsabgeordneter aus dem 18. Jahrhundert, spielte eine wichtige Rolle bei der Abschaffung des Sklavenhandels in Großbritannien. Nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg (dem "Hull Blitz") durchlebte Hull eine Zeit des postindustriellen Niedergangs und schnitt in den Bereichen soziale Benachteiligung, Bildung und Sicherheitspolitik schlecht ab.

Mehr als 95% der Stadt wurden im Blitzkrieg zerstört, und in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Niedergang des 20. Jahrhunderts musste die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg im elisabethanischen und viktorianischen Stil wiederaufgebaut werden, anstatt wie zuvor. Während des Ausgabenbooms zu Beginn des 21. Jahrhunderts und vor der Rezession Ende der 2000er Jahre wurden in der Stadt große Mengen an neuen Einzelhandels-, Gewerbe- und Wohngebäuden sowie öffentlichen Einrichtungen errichtet. Maggie Thatcher hat mit ihren Reformen der Stadt den Todesstoß gegeben, als sie die Fischereihäfen schließen lies. Die einst wohlhabende Stadt verkümmerte immer mehr, Menschen verarmten bzw. zogen weg und die Stadt bekam ihren schlechten Ruf.

Zu den touristischen Attraktionen gehören das Hull People's Memorial, die historische Altstadt und das Museumsviertel, der Yachthafen und das Aquarium The Deep. Hinzu kommen die zwei Schiffe Spurn und Corsair, die derzeit gewartet werden. Zu den Rugby-Liga-Fußballmannschaften gehören die Vereine Hull F.C. und Hull Kingston Rovers. Die Verbandsfußballvereine der Stadt sind Hull City (EFL Championship) und der Nicht-Ligaverein Hull United. Hull RUFC und Hull Ionians spielen beide in der National League 2 North der Rugby Union. Im Jahr 2017 war Hull die Kulturhauptstadt des Vereinigten Königreichs und richtete in der Ferens Art Gallery den Turner Prize aus.

Universität Hull, Haupteingang

Eine Rolle bei der Bewerbung des Titels UK City of Culture, hat auch die Universität gespielt. Generell setzt sich die Universität für sehr vieles ein und stärkt somit den Standort. Der Titel "UK City of Culture" wird einer Stadt (oder ab 2025 einem Gebiet) im Vereinigten Königreich für die Dauer eines Kalenderjahres verliehen, in dem die erfolgreiche Bewerberin oder der erfolgreiche Bewerber ein Jahr lang kulturelle Festivitäten im Rahmen einer kulturorientierten Erneuerung veranstaltet.

Das britische Programm, das vom Ministerium für Digitales, Kultur, Medien und Sport der britischen Regierung in Zusammenarbeit mit den dezentralen Regierungen von Schottland, Wales und Nordirland verwaltet wird, soll "auf dem Erfolg von Liverpools Jahr als Europäische Kulturhauptstadt 2008 aufbauen, das erhebliche soziale und wirtschaftliche Vorteile für die Region hatte". Bewerbungen, die ausschließlich aus dem Großraum London stammen, sind vom Wettbewerb ausgeschlossen. Allerdings können Stadtbezirke und Orte in der britischen Hauptstadt eine gemeinsame Bewerbung mit einer Stadt oder einem Ort außerhalb des Großraums London einreichen.

Der Titel wird alle vier Jahre im Rahmen eines Wettbewerbs an Städte vergeben. Der erste Träger des Titels war Derry im Jahr 2013. Kingston upon Hull war 2017 der zweite Träger des Titels, und am 7. Dezember 2017 wurde bekannt gegeben, dass Coventry den Titel für 2021 erhalten wird. Das Bewerbungsverfahren für den Titel 2025 wurde zwischen 2021 und 2022 durchgeführt, wobei Bradford am 31. Mai 2022 als Gewinner bekannt gegeben wurde. Der Titel 2025 war der erste, der lokalen Gebieten im gesamten Vereinigten Königreich offenstand. Geld fließt für insgesamt drei Jahre. Die große Sause findet im ersten Jahr statt und in den Jahren 2 und 3 finden weniger Veranstaltungen statt. Für Hull war es ein großer Imagegewinn und Einnahmequelle.

Die Stadt hat sich sehr gewandelt im Laufe der Zeit. Als ich als junger Kerl zum Studieren dorthin ging, war es zwar eine wunderschöne Stadt, aber mit viel Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Damals war es "Mode" unter den ganz jungen Frauen, sich schwängern zu lassen und vom Geld des Staates zu leben. So gab es in Hull die jüngsten Mütter des Landes (oft schon 12- oder 13-jährige Mädchen). Wer volljährig war bekam ein Haus oder eine Wohnung und dazu Geld zum Leben. Die Minderjährigen bekamen nur Geld und lebten weiterhin bei den Eltern. So gab es in Hull auch die jüngsten Omas und Opas des Landes. Mit 29 schon Oma war keine Seltenheit.

Die meisten Menschen kannten die Uni nur von außen und gingen Handwerkerberufen oder Bürojobs nach. Die damals zwei Universitäten, Hull und Humberside, getrennt durch eine Mauer, waren die größten Arbeitgeber der Stadt. Humberside zog irgendwann um und Hull kaufte die Fläche und die angrenzenden Grundstücke und verdreifachte seine Fläche. Obwohl in den roten Zahlen, ist die Uni immer noch einer der größten Arbeitgeber und mit über 21000 Studenten, einer der stärksten Wirtschaftsfaktoren für die Stadt. Die LCD-Technik wurde in Hull an der Uni erfunden und viele Bands und Musiker kommen von dort, wie die eingangs erwähnten The Housemartins und The Beautiful South. Mick Ronson und Spiders From Mars schrieben Geschichte.

Andere klangvolle Namen sind Everything but the Girl, The Paddingtons, The Mustangs, Fila Brazillia, Calum Scott und der Frontman der Fine Young Cannibals, Roland Gift, stammt auch aus Hull. Da die Stadt sehr abgelegen ist, die Wirtschaft nicht immer floriert, suchen die Menschen nach Auswegen und flüchten sich in die Kunst. Hull hat/hatte eine sehr erfolgreiche Kunstszene und sehr viele Clubs und Live-Bühnen. Mittlerweile gibt es nur einen großen Club, das Atik. Ein paar kleinere wie Piper, Asylum oder Spiders und viele Bühnen in den Pubs. Einer der größten Clubs, das LA's, wurde vor vielen Jahren dem Erdboden gleichgemacht. Jetzt steht ein Hotel an dessen Stelle. Auch andere Clubs wie Circus Circus, Heaven & Hell usw. gibt es nicht mehr.

Paul Heaton hatte recht mit seiner Behauptung, dass man im Umland schön Fahrrad fahren kann. Fährt man nach Nordwesten, fährt man durch das wunderschöne Dorf Cottingham, das gleichzeitig das größte Dorf des Landes ist. Von da aus kann man entweder rüber nach Skidby zur Windmühle oder weiter nach Norden nach Beverley und wenn die Beine tragen, auf eine sehr schöne Strecke nach York. Oder man fährt Richtung Süden und besucht die feinen Gegenden Hulls, wie West Ella und Kirk Ella oder zum Villenviertel Swanland und weiter zur majestätischen Humber Bridge die sich über den Fluss spannt und Yorkshire mit Lincolnshire verbindet. Der Marathon Ende September führt auch über die Brücke, was ein Erlebnis ist.

Als ich viele Jahre nach dem Studium zurück nach Hull ging, um an der Uni zu arbeiten, gaben The Beautiful South ein paar Konzerte im Welly Club an der Beverley Road. Natürlich berichtete die lokale Presse täglich über das Ereignis des Jahres und es gab massenweise interviews mit der Band. Paul Heaton sagte etwas charakteristisches über die Menschen in Hull. Sie sind bodenständig und flippen nicht aus, wenn sie einen Star (mich/uns) sehen. Sie klopfen uns auf die Schulter und sagen: Well done, mate (gut gemacht, Kumpel)! In der Tat, trotz der ganzen Strapazen, sind die Leute hier sehr freundlich und hilfsbereit. Manche schauen furchterregend aus, sind aber die freundlichsten Menschen. die man begegnet. Die Konzerte waren eine Wucht!

Die Stadt hatte sich inzwischen verändert. Es gab kaum sehr junge Mütter, weniger Arbeitslosigkeit und Kriminalität, dank der EU-Osterweiterung kamen viele Polen ins Land und eröffneten Geschäfte, hinzu kamen auch andere Nationen, die dasselbe taten, es gab Geld von der Regierung, das in die Infrastruktur investiert wurde, viele neue Geschäfte und Firmen wie Siemens zogen nach Hull und halfen der Stadt auf die Beine. Die Fähren Nach Rotterdam und Zeebrugge fahren immer noch jeden Abend weg und mit den Hull Trains ist man in weniger als drei Stunden ohne Umsteigen in London.

Als ich wieder nach einigen Jahren zurückkehrte, sah die Stadt wieder anders aus. Brexit und gerade Corona haben ihre Spuren hinterlassen. Da die Studenten ausbleiben, fließt wenig Geld in die Stadt und so mussten viele Unternehmen schließen. Egal ob Bäcker, Fleischer, Warenhäuser, vieles ist zu. Auch das Nachtleben ist nicht mehr das was es einmal war. Eine Depression macht sich breit, dennoch ist die Stadt immer noch wunderschön und man kann sie zu Fuß oder auf dem Rad erkunden. Für die Museen muss man nichts bezahlen, kulinarisch gibt es alles was das Herz begehrt, das Bier schmeckt lecker, die Pubs sind wie Wohnzimmer, die Leute sehr freundlich und wenn die Sonne untergeht, wird der Himmel rot erleuchtet und es schaut wie Feuer aus.

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